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Stellungnahme der DGS zu Mediendarstellungen von Akademiker:innen im Rahmen politischer Proteste zum Israel-Gaza-Konflikt

München, 13. Mai 2024

Im Rahmen des aktuellen Kriegs Israels in Gaza, der auf den antisemitischen Terror der Hamas vom 7.10.2023 reagiert, finden weltweit und so auch in Deutschland Proteste u.a. an Universitäten statt. Nachdem in Berlin (wie anderswo) die Proteste Anfang Mai 2024 zum Teil von der Polizei aufgelöst wurden, haben Hunderte Lehrende an (insbes. Berliner) Universitäten einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie das Vorgehen gegen die (›pro-palästinensischen‹) Proteste kritisieren und die Universitätsleitungen dazu aufrufen, auf Dialog statt polizeiliche und juristische Maßnahmen zu setzen. Dieser Brief ist in den Medien sowie der Politik breit und intensiv diskutiert worden – im Sinne einer lebendigen pluralen Demokratie zu Recht. Allerdings hat sich im Anschluss eine regelrechte Medienkampagne entwickelt, die wir als wissenschaftlicher Fachverband inakzeptabel finden. Dagegen wenden wir uns.

Wir verurteilen mit dieser Stellungnahme die mediale Diffamierung und personalisierte, pauschale Verurteilung von Lehrenden, darunter auch Soziolog:innen. Es ist zutiefst beunruhigend, dass in einer aktuellen Kampagne (insbesondere BILD vom 10.05.2024) Wissenschaftler:innen – darunter auch jüdische und renommierte Forscher:innen zum Nationalsozialismus, der Shoah und im Bereich des Antisemitismus – durch Massenmedien individuell angeprangert und (ausgerechnet) in Deutschland als ›Täter‹ (sic!) diffamiert werden. Es scheint, dass dabei bestimmte Disziplinen (so auch die Soziologie) und Forschungsfelder (etwa die Postcolonial Studies) als angeblich per se politisch und antisemitisch ins Visier genommen werden. Derartig pauschale, zum Teil klar falsche und diffamierende Darstellungen haben unter Umständen weitreichende forschungspolitische Folgen, vor denen wir warnen. Einer lebendigen politischen Debatte schaden derartige Kampagnen, sie vergiften das Diskussionsklima und haben verheerende Folgen für die Personen, die dabei an den medialen Pranger gestellt werden. Wir halten zudem die Rolle und Aussagen der Wissenschaftsministerin und der Staatssekretärin in diesem Zusammenhang für äußerst bedenklich: Per social media (8.5. auf der Plattform X) ›Lehrende‹ pauschal in die Nähe des Antisemitismus zu rücken, als gewaltverharmlosend zu bezeichnen und gegenüber der BILD-Zeitung durch Suggestion anzuzweifeln, dass sie ›auf dem Boden des Grundgesetzes stehen‹, ist politisch mindestens fragwürdig.

Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) positioniert sich ausdrücklich nicht inhaltlich zu den aktuellen Protesten im Einzelnen und auch nicht zu den Forderungen des offenen Briefes. Die DGS verurteilt klar jeglichen Antisemitismus und jegliche gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit; sie wirkt daraufhin, dass auch Hochschulen Orte sind, an denen alle Mitglieder – Studierende, Forschende, administratives und technisches Personal – im rechtlich legitimen Rahmen respektiert und gewaltfrei arbeiten und sich politisch auseinandersetzen können, ohne Diffamierungen oder Bedrohungen befürchten zu müssen.

Prof. Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky (Vorsitzende)
München, 13.05.2024